Was die Entwicklung der Benutzeroberfläche von Webseiten angeht, ist eine Kontroverse sichtbar, die sich an der Schwerpunktsetzung von Kompetenzen und verwendeten Sprachen und Techniken entzündet. Wer auf Twitter ein paar Entwickler*innen folgt, sich Projektausschreibung oder Jobangebote durchliest, stößt sehr schnell auf die gewachsene Bedeutung von JavaScript und den darauf basierenden Bibliotheken. Anhand der Fragestellung zu vorausgesetzten Arbeitsweisen und damit einhergehenden Bewertungen entspannt sich ein Konflikt.
Chris Coyier von CSS-Tricks spricht in diesem Zusammenhang von »The Great Divide« und erkennt zwei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen:
- Auf der einen Seite sind Entwickler*innen deren Interessen, Verantwortlichkeiten und Können sich hauptsächlich auf JavaScript konzentriert.
- Und auf der Anderen finden sich Entwickler*innen deren Interessen, Verantwortlichkeiten und Können sich auf andere Bereiche der Benutzeroberfläche wie HTML, CSS, Design, Interaktionen, Strukturen, Accessibility fokussiert.
Der Artikel »The Great Divide« auf CSS-Tricks lohnt sich auch deshalb zu lesen, da Chris Coyier einige wichtige Stimmen aufgreift, wodurch Breite und Bedeutung des Konflikts deutlich wird, und zur Schärfung des Begriffs ›Front-End Development‹ anregt.
Als ich vor ungefähr fünfzehn Jahren begann mich intensiver mit Design und Entwicklung von Benutzeroberflächen zu beschäftigen, fand ich bei Entwickler*innen um Jeffrey Zeldman mit dem Schwerpunkt auf Webstandards meine Inspiration. Aus diesem Grund widmete ich mich in erster Linie semantischem Markup (HTML) und validen Stylesheets, so dass alle Inhalte für Mensch und Maschine lesbar sind. Die Bedeutung von JavaScript war dem nachgeordnet und diente der Interaktivität und Anreicherung von Inhalt und Erlebnis auf der Webseite.
In diesem Sinne verstehe ich den Artikel »HTML, CSS and our vanishing industry entry points« von Rachel Andrew. Rachel Andrew führt aus, dass am Ende HTML und CSS vom Browser interpretiert werden, und dass es daher wichtig ist diese beiden Sprachen flüssig zu sprechen. Des Weiteren weist sie auf die Abstraktion hin, die durch die Betonung von JavaScript und die entsprechenden Bibliotheken, dem Entwickeln von Benutzeroberflächen hinzugefügt wird, wodurch der Einstieg in die Entwicklung von Webseiten erschwert wird.
There is something remarkable about the fact that, with everything we have created in the past 20 years or so, I can still take a complete beginner and teach them to build a simple webpage with HTML and CSS, in a day. We don’t need to talk about tools or frameworks, learn how to make a pull request or drag vast amounts of code onto our computer via npm to make that start. We just need a text editor and a few hours. This is how we make things show up on a webpage.
That’s the real entry point here and yes, in 2019 they are going to have to move on quickly to the tools and techniques that will make them employable, if that is their aim. However those tools output HTML and CSS in the end. It is the bedrock of everything that we do, which makes the devaluing of those with real deep skills in those areas so much more baffling.
[…]
I might be the “old guard” but if you think I’m incapable of learning React, or another framework, and am defending my way of working because of this, please get over yourself. However, 22 year old me would have looked at those things and run away. If we make it so that you have to understand programming to even start, then we take something open and enabling, and place it back in the hands of those who are already privileged. I have plenty of fight left in me to stand up against that.
Rachel Andrew: HTML, CSS and our vanishing industry entry points
Entwickler*innen wie Rachel Andrew sprechen sich daher auch für die Notwendigkeit aus, HTML, CSS und JavaScript in der Tiefe zu kennen und die Bibliotheken wie früher jQuery, Angular und heute React oder Vue bei bedarf zusätzlich zu lernen, dabei aber im Blick zu behalten, dass sich im Web ständig einiges ändert, und vielleicht schon morgen eine andere Bibliothek heiß gehandelt wird.
Ende letzten Jahres veröffentlichte Mandy Michael ein lesenswertes Plädoyer für die Bedeutung von HTML und CSS, in dem sie auch auf die Abwertung gegenüber Entwickler*innen, die ›nur HMTL und CSS schreiben‹, reagierte:
What I don’t understand is why it’s okay if you can “just write JS”, but somehow you’re not good enough if you “just write HTML and CSS”.
When every new website on the internet has perfect, semantic, accessible HTML and exceptionally executed, accessible CSS that works on every device and browser, then you can tell me that these languages are not valuable on their own. Until then we need to stop devaluing CSS and HTML.
Mandy Michael, Is there any value in people who cannot write JavaScript?
Diesen Artikel habe ich vor Allem deswegen geschrieben, um darüber nachzudenken wie ich auf den Konflikt reagiere und um zu verstehen woraus sich meine Reaktionen speisen. Mir ist nun wieder bewusster, weshalb mich einige Aspekte automatisch erzeugten Markups stören und was mir an der Einfachheit gefällt Webseiten und Prototypen zu erstellen, und dabei die Benutzbarkeit derselben immer im Hinterkopf zu haben. Gleichzeitig möchte ich mich nicht auf meinem aktuellen Standpunkt ausruhen und mich darüber wundern wie schnell „die Jungen“ neue Techniken und Arbeitsweisen lernen, sondern mich weiterhin mit den Entwicklungen des Webs beschäftigen und neues lernen.
Da es in diesem Konflikt auch immer wieder um den Begriff Programmiersprache geht und die Frage auftaucht, ob Entwickler*innen, die HTML und CSS schreiben auch programmieren, möchte ich abschließend noch den Artikel »CSS is a Declarative, Domain-Specific Programming Language« von Lara Schenck empfehlen.